ver.di: Mit Nebel­ker­zen gegen die Pfle­ge­kam­mer NRW

Plakat von ver.di gegen die Pflegekammer NRW

Am dies­jäh­ri­gen Refor­ma­ti­ons­tag, dem 31. Okto­ber 2022, findet die Wahl für die erste Kammer­ver­samm­lung der Pfle­ge­kam­mer NRW statt. Diese wäre dann, wenn sie ihre Arbeit aufnimmt, mit schät­zungs­wei­se über 200.000 Mitglie­dern die größ­te ihrer Art. Während die Pfle­ge­kam­mer­be­für­wor­ter – hier­zu zählen unter ande­rem die im Deut­schen Pfle­ge­rat orga­ni­sier­ten Berufs­ver­bän­de – dementspre­chend die Werbe­trom­mel rühren, versu­chen die Kammer­geg­ner von der fehlen­den Notwen­dig­keit der Pfle­ge­kam­mer NRW zu überzeugen.

Zu den Gegnern zählt auch die Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft ver.di. Insbe­son­de­re unter­stellt ver.di der Pfle­ge­kam­mer NRW das Fehlen einer demo­kra­ti­schen Legi­ti­ma­ti­on. Die sei nach Auffas­sung der Gewerk­schaft nur mit einer Urab­stim­mung – das heißt einer Abstim­mung, zu der alle Ange­hö­ri­gen der Pfle­ge­be­ru­fe in NRW aufge­ru­fen sind – zu errei­chen, weshalb diese einge­for­dert wird. „Die Durch­füh­rung der Befra­gung von rund 1.500 Pfle­ge­kräf­ten im Jahre 2018 sei nicht aussa­ge­kräf­tig“, heißt es deshalb in einer Pres­se­mit­tei­lung vom 26. Janu­ar 2022.

Das Problem mit der Urabstimmung

Urab­stim­mun­gen sind für Gewerk­schaf­ten kein unbe­kann­tes Terrain: Mit ihnen wird über die Durch­füh­rung von Arbeits­kampf­maß­nah­men nach dem Schei­tern von Tarif­ver­hand­lun­gen und dem Wegfall der Frie­dens­pflicht entschie­den. Zur Abstim­mung aufge­ru­fen sind dann die Gewerk­schafts­mit­glie­der, die in dem Bereich, in welchem die Durch­füh­rung der Arbeits­kampf­maß­nah­men vorge­se­hen ist, tätig sind. Bei einem drohen­den Arbeits­kampf im Bereich des Gesund­heits­we­sens wären das beispiels­wei­se alle Ärzte, beruf­lich Pfle­gen­den, medi­zi­sche Assis­ten­ten etc. In jedem Fall ließe sich die zur Urab­stim­mung aufzu­ru­fen­de Perso­nen­grup­pe leicht über einen einfa­chen Blick in das Mitglie­der­ver­zeich­nis – in welchem alle rele­van­ten perso­nen­be­zo­ge­nen Daten der Gewerk­schafts­mit­glie­der fest­ge­hal­ten sind – ermitteln.

Nun fordert ver.di auch für die Klärung der Frage, ob unter den nord­rhein-west­fä­li­schen Pfle­gen­den tatsäch­lich der berech­tig­te Wunsch nach einer Pfle­ge­kam­mer besteht, das Anset­zen einer solchen Urabstimmung. 

Kommen wir für einen Moment dieser Forde­rung gedank­lich nach und über­tra­gen wir das, was wir im vorhe­ri­gen Absatz über Urab­stim­mun­gen erfah­ren haben, hier­auf: In der Konse­quenz würde das bedeu­ten, dass dann ausnahms­los alle beruf­lich Pfle­gen­den, die ihren Beruf in NRW ausüben, zur Abstim­mung aufzu­ru­fen wären. 

Und damit kommen wir zum eigent­li­chen Knack­punkt: Denn zum gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt kann niemand genau sagen, von wie vielen beruf­lich Pfle­gen­den hier über­haupt die Rede ist - von der konkre­ten Perso­nen ganz zu schwei­gen. Denn eine zentra­le Erfas­sung der so Ange­spro­che­nen exis­tiert nicht: Das Statis­ti­sche Landes­amt erfasst nur ausge­wähl­te und anony­mi­sier­te Daten zu bestimm­ten Sticht­ta­gen und die Bezirks­re­gie­run­gen könn­ten allen­falls mittei­len, wem sie wann und wo eine Berufs­zu­las­sungs­ur­kun­de ausge­stellt haben (was aber nicht heißt, dass die Person auch noch in Nord­rhein-West­fa­len berufs­tä­tig ist). Aus diesem Blick­win­kel soll­te es einleuch­ten, warum das Minis­te­ri­um für Arbeit, Gesund­heit und Sozia­les (MAGS) seiner­zeit die Durch­füh­rung einer reprä­sen­ta­ti­ven Befra­gung initi­iert hat. Und auch weshalb der Errich­tungs­aus­schuss zur Pfle­ge­kam­mer NRW extra eine Mitglie­der­re­gis­trie­rung einrich­ten musste!

Nach alle­dem kann fest­ge­hal­ten werden, dass die Forde­rung nach einer „Urab­stim­mung zur Pfle­ge­kam­mer, die noch vor der Kammer­wahl statt­fin­den muss“ (O‑Ton ver.di) bis zum Errei­chen einer Voll­re­gis­trie­rung aller Mitglie­der – was im Übri­gen ja durch eine Kammer beab­sich­tigt wird – in dem Sinne, wie es die Gewerk­schaft propa­giert, gar nicht möglich ist.

Und was ist mit einer Urab­stim­mung nach der Kammerversammlung?

Dass es so nicht aufge­hen kann, scheint zumin­dest auch eini­gen der streit­ba­ren Gewerk­schaft­lern aufge­fal­len zu sein. Jeden­falls wurde in der besag­ten Pres­se­mit­tei­lung vom 26. Janu­ar bereits für den Fall des Zustan­de­kom­mens der Pfle­ge­kam­mer NRW ein alter­na­ti­ver Schlacht­plan formu­liert: Einfach mitma­chen und sich zur Wahl aufstel­len lassen, um dann im Nach­gang eine Urab­stim­mung herbeizuführen.

Klar sein soll­te, dass auch mit der Wahl zur ersten Kammer­ver­samm­lung das Ziel einer Voll­re­gis­trie­rung nocht nicht erreicht sein wird. Denn die hier­zu einge­rich­te­te Mitglie­der­re­gis­trie­rung erfolgt auf frei­wil­li­ger Basis – und wie immer, wenn etwas frei­wil­lig zu machen oder zu tun ist, gibt es auch welche, die sich dem Ganzen entzie­hen. Bis zur voll­stän­di­gen Durch­set­zung der Zwangs­mit­glied­schaft dürf­te es somit also eigent­lich gar keinen Versuch geben, eine Urab­stim­mung im oben genann­ten Sinne herbeizuführen.

Es ist aber wahr­schein­li­cher, dass man sich hier­für nicht all zuviel Zeit lassen wird. Und auch das plötz­lich die Menge der bereits Regis­trier­ten als ausrei­chend ange­se­hen wird – selbst wenn das bedeu­tet, dass damit entge­gen der eige­nen Agita­ti­on gehan­delt wird. Denn mit jeden Tag, den die Pfle­ge­kam­mer länger besteht, wächst die Gefahr eines Gewöh­nungs­ef­fek­tes. Und – was für einen Kammer­geg­ner noch viel schlim­mer wäre (sozu­sa­gen der worst case) – die Pfle­ge­kam­mer könn­te bis dahin ja auch noch erfolg­reich Akzen­te setzen.

Pfle­ge­kam­mer NRW: (k)eine Legitimation?

Aber gehen wir noch einmal einen Schritt zurück: Die Gewerk­schaft spricht der Pfle­ge­kam­mer NRW die nöti­ge demo­kra­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on ab. Gleich­zei­tig sieht ver.di aber kein Problem darin sich zur Wahl (ein demo­kra­ti­sches Mittel) für die Kammer­ver­samm­lung, und damit dem „Parla­ment der Pfle­ge“ (und somit eine demo­kra­ti­sche Insti­tu­ti­on), aufstel­len zu lassen. Des Weite­ren bedeu­tet es, dass das Ergeb­nis der Wähler­schaft, die – wie oben darge­stellt – zum Wahl­ter­min wahr­schein­lich (noch) nicht alle beruf­lich Pfle­gen­den umfas­sen wird, wohl akzep­tiert werden würde. Denn nur so wäre über­haupt eine weite­re Mitwir­kung möglich, auch wenn diese auf die Herbei­füh­rung einer Abstim­mung (wieder so ein demo­kra­ti­sches Mittel) zielt, mit der das Schick­sal der Pfle­ge­kam­mer besie­gelt werden soll. 

Exkurs: Ist es rech­tens an etwas teil­zu­neh­men, wenn diesem fehlen­de Recht­mä­ßig­keit unter­stellt wird? Diese Frage kam mir beim Schrei­ben des voran­ge­ga­nen Absat­zes immer wieder in den Sinn. Wahr­schein­lich können gestan­de­ne Rechts­phi­lo­so­phen oder Moral­ethi­ker mir hier­zu eine Antwort geben… 

Wenn ver.di zugleich die Aussa­ge „Dor­t, wo Pfle­ge­kam­mern po­li­tisch ge­wollt und ge­schaf­fen wer­den, ge­hen wir selbst­ver­ständ­lich mit in Ver­ant­wor­tung und brin­gen un­se­re Fach­kom­pe­tenz zum Nut­zen der Pfle­ge­be­ru­fe ein“ trifft, dann wirkt das zuletzt gezeig­te Handeln hier­ge­gen­über doch sehr ambi­va­lent. Denn der poli­ti­sche Willens­ge­ber – die Landes­re­gie­rung NRW (eindeu­tig demo­kra­tisch legi­ti­miert) – hat sich für die Errich­tung der Pfle­ge­kam­mer ja bereits ausge­spro­chen. Wäre es danach nicht lang­sam an der Zeit den eige­nen Worten Taten folgen zu lassen und die ganze Ener­gie in eine konstruk­ti­ve Zusam­men­ar­beit zu überführen?

Es geht wahr­schein­lich um was völlig anderes

Um seiner Forde­rung nach einer Urab­stim­mung Nach­druck zu verlei­hen hatte ver.di am 29. Janu­ar 2022 zu einer Protest­kund­ge­bung an der Düssel­dor­fer Rhein­werft aufge­ru­fen. Dem gefolgt sind – wohl gemerkt aus dem ganzen Bundes­land – sage und schrei­be gera­de mal 130 Perso­nen!

Das ist schon erstaun­li­ches Ergeb­nis für eine Gewerk­schaft, die nach eige­nem Bekun­den über rund 2 Millio­nen Mitglie­dern insge­samt und allein in NRW über 500.000 Mitglie­dern verfü­gen soll (wobei natür­lich nicht alle ver.di-Mitglieder auch in der Pfle­ge beschäf­tigt sind). Selbst wenn wir unter­stel­len, dass alle dieje­ni­gen, die sich am letz­ten Sams­tag im Janu­ar in Düssel­dorf zusam­men­ge­fun­den haben, sowohl Gewerk­schafts­mit­glie­der als auch Ange­hö­ri­ge der Pfle­ge­be­ru­fe sind, zeugt das abge­ge­be­ne Bild von einem schein­bar nur sehr gerin­gem Akti­vie­rungs­po­ten­zi­al der Gewerk­schaft – zumin­dest im Bereich der Pflege.

Und da liegt wahr­schein­lich der Hase im Pfef­fer: Denn binnen zwan­zig Jahren hat die Gewerk­schaft rund ein Drit­tel ihrer Mitglie­der verlo­ren! Der DBfK Nord­west hat ver.di bereits mangeln­de Durch­set­zungs­kraft unter­stellt und der Versuch, einen Flächen­ta­rif für die Alten­pfle­ge einzu­füh­ren, schei­ter­te zuletzt am Wider­stand der Cari­tas. Darüber hinaus hat sich mit dem Bochu­mer­Bund aus der Mitte der Pfle­ge heraus bereits eine weite­re Arbeit­neh­mer­ver­tre­tung gebildet. 

Unter diesem Blick­win­kel betrach­tet scheint die Moti­va­ti­on für diesen seit Jahren geführ­ten Feld­zug gegen jegli­che Pfle­ge­kam­mer im wach­sen­den Konkur­renz­druck von außen und der Sorge vor einem Abrut­schen in die Bedeu­tungs­lo­sig­keit zu liegen. Was wieder­um bedeu­ten würde, dass es bei dem Ganzen nicht um das „Beste für den Pfle­ge­be­ruf“, sondern einzig allein um das „Beste für die Gewerk­schaft“ gehen würde.

Fazit

Dabei schlie­ßen sich Pfle­ge­kam­mern und Gewerk­schaf­ten gegen­sei­tig gar nicht aus – können sie auch schon deshalb nicht, da ihnen unter­schied­li­che poli­ti­sche Rollen und Aufga­ben zuge­wie­sen worden sind: So wird beispiels­wei­se eine Pfle­ge­kam­mer niemals Vertrags­par­tei bei irgend­wel­chen Tarif­ver­hand­lun­gen sein. Im Gegen­zug wird eine Gewerk­schaft keines­falls das poli­ti­sche Mandat zur Erstel­lung einer Berufs- oder Weiter­bil­dungs­ord­nung erhal­ten – wie im Übri­gen auch nicht die Fach­ver­bän­de, dem Drit­ten im Bunde. Ich halte es für sogar gut vorstell­bar, dass eine Mitar­beit in der Pfle­ge­kam­mer der Gewerk­schaft letzt­lich sogar gut tun würde.

Wenn jedes Bemü­hen um Profes­sio­na­li­sie­rung und Auto­no­mie im Bereich der Pfle­ge zerre­det wird, dann nur deshalb – dass unter­stel­le ich an dieser Stel­le einfach -, um beruf­lich Pfle­gen­den mit all ihren Sorgen und Nöten weiter­hin am Nasen­ring packen und durch die Mane­ge führen zu können. Wer weiter­hin behaup­tet, es bräu­che ja nur etwas „mehr Perso­nal“ und „verän­der­te Rahmen­be­din­gun­gen“ (das heißt über­setzt: mehr Geld), der will letzt­end­lich keine wirk­li­che Verän­de­rung. Denn – das muss jedem bewusst sein – diese Forde­run­gen werden seit Jahr­zehn­ten immer wieder genannt! Hat sich seit­dem irgend­et­was getan?

Und da gelan­gen wir auch zu dem Punkt, an dem sich auch ver.di unan­ge­neh­mer Kritik stel­len soll­te: Denn was hat die Gewerk­schaft in den letz­ten Jahren für die Verbes­se­rung der Rahmen­be­din­gun­gen in der gesam­ten Pfle­ge­bran­che getan? Wie viele Arbeits­plät­ze in der Pfle­ge – und damit ist nicht das wach­sen­de Kontin­gent an Hilfs­kräf­ten gemeint – konn­ten durch das Einwir­ken der Gewerk­schaft erhal­ten oder geschaf­fen werden? Wie wurde das Anse­hen des Pfle­ge­be­rufs und dessen Wert­schät­zung durch die Gesell­schaft – Mitvor­aus­set­zung für die Rekru­tie­rung neuer Kräf­te – durch die bishe­ri­ge Gewerk­schafts­ar­beit verbessert? 

Darüber könn­te man ja mal nachdenken.

Beitrag zuletzt bear­bei­tet 12. Febru­ar 2022, 17:30.

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